30.04.2025 Pressemitteilung - Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Ein internationales Forschungsteam um Senckenberg-Wissenschaftler Dr. Spyros Theodoridis hat die Auswirkungen der zunehmenden Begrünung vieler europäischer Gebirgsregionen auf die genetische Pflanzenvielfalt untersucht. Ihre heute im Fachjournal „Current Biology“ veröffentlichten Studie zeigt am Beispiel des Griechischen Bergtees Sideritis, dass der durch Klima- und Landnutzungswandel geförderte Vegetationszuwachs in Gebirgen zu genetischer Verarmung führen kann.
Das Team mit Prof. Dr. David Nogués-Bravo von der Universität Kopenhagen sowie den Senckenberg-Forschern Prof. Dr. Thomas Hickler und Prof. Dr. Marco Thines belegt mithilfe von Satellitenbildern und Genanalysen: Je dichter die Vegetation in den vergangenen 40 Jahren wurde, desto stärker nahm die genetische Vielfalt der Pflanzen ab.
Bergregionen sind Hotspots der Biodiversität und gehören zu den artenreichsten Lebensräumen überhaupt. Durch den globalen Wandel verändern sich diese vielfältigen Ökosysteme allerdings in rasantem Tempo. In den vergangenen fünf Jahrzehnten haben steigende Temperaturen und veränderte Landnutzung in Höhenlagen das Wachstum und die Ausbreitung konkurrenzstarker Pflanzen wie Sträucher oder Bäume begünstigt – ein Prozess, der als „Begrünung“ oder „Mountain Greening“ bezeichnet wird. Die spezialisierten und oft kleinwüchsigen Arten offener Grasland-Lebensräume werden dadurch zurückgedrängt. Von dieser Entwicklung betroffen ist auch der Sideritis, eine typische und bedeutende Pflanzenart der montanen Graslandflora im Mittelmeerraum. Das auch Griechischer Bergtee genannte Kraut umfasst mehrere nah verwandte Arten und wird von der lokalen Bevölkerung und der Pharmaindustrie aufgrund seiner heilenden Eigenschaften bei Husten, Erkältungen und Magen-Darm-Beschwerden verwendet. Gleichzeitig ist die beliebte Heilpflanze ein Indikator für die Gesundheit offener Gebirgslebensräume.
Im Rahmen der jetzt erschienenen Studie untersuchte das Forschungsteam die Auswirkungen der zunehmende Begrünung auf die genetische Vielfalt des Sideritis – unter Verwendung eines innovativen methodischen Ansatzes: „Wir haben Populationen in elf griechischen Gebirgen unter die Lupe genommen und Satellitendaten von mehreren Jahrzehnten mit genetischen Analysen aus Herbarbelegen aus den 1970er-Jahren und heutigen Pflanzenproben kombiniert“, erklärt Studienleiter Dr. Spyros Theodoridis, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt und heute am Nationalen Observatorium Athen tätig. „Die Ergebnisse zeigen: In acht von elf untersuchten Gebirgsregionen nahm die genetische Vielfalt in diesem Zeitraum deutlich ab. In besonders betroffenen Regionen sind heute bis zu 20 Prozent des Genoms einzelner Pflanzen von Inzucht betroffen – ein Hinweis auf zurückgehende Populationsgrößen.“
„Die Geschwindigkeit, mit der sich Büsche und Bäume in vormals offenen Graslandschaften ausbreiten, lässt sich direkt mit dem Rückgang genetischer Vielfalt in Sideritis-Populationen verknüpfen,“ ergänzt Mitautor Prof. David Nogués-Bravo von der Universität Kopenhagen. „Die genetische Vielfalt einer Art ist entscheidend für ihre Anpassungsfähigkeit an Umweltveränderungen. Wenn diese Vielfalt schwindet, sinkt die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten, Trockenheit oder anderen Stressfaktoren – das kann langfristig zum Aussterben führen.“
Das Besondere an der Untersuchung: Sie verbindet zwei völlig unterschiedliche Datenquellen – Fernerkundung per Satellit und genomische Analysen – und erlaubt so Rückschlüsse auf die Entwicklung von Pflanzenpopulationen über mehrere Jahrzehnte hinweg. „Diese Verbindung eröffnet neue Möglichkeiten für das Biodiversitätsmonitoring“, betont Theodoridis. „Sie erlaubt es uns, mit Satellitenbildern Hinweise auf genetische Veränderungen in Gebirgsökosystemen zu erkennen, ohne jede einzelne Population vor Ort genetisch untersuchen zu müssen.“
Den Verlust genetischer Vielfalt vom Weltraum aus zu überwachen, galt bisher als unmöglich. „Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass sich die Stärke der genetischen Erosion mit erstaunlich hoher Genauigkeit allein anhand der Zunahme der Vegetationsdichte vorhersagen lässt“, ergänzt Co-Autor Prof. Dr. Thomas Hickler vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt. „Das macht unsere Methode besonders attraktiv für den Einsatz in schwer zugänglichen Gebirgsregionen oder dort, wo genetisches Monitoring bislang kaum möglich war.“
Die Studie unterstreicht auch die Bedeutung naturhistorischer Sammlungen. „Ohne die historischen Pflanzenbelege in Herbarien hätte der direkte Vergleich über einen Zeitraum von 50 Jahren nicht stattfinden können“, betont Mitautor Prof. Dr. Marco Thines, ebenfalls Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum. „Für die Biodiversitätsforschung sind diese Archive der Natur von unschätzbarem Wert.“
Die zunehmende Begrünung von Gebirgsregionen durch die Klimaerwärmung und die Aufgabe traditioneller Bewirtschaftungsformen ist weltweit verbreitet und auf Satellitenaufnahmen gut nachvollziehbar. Die Forschenden raten deshalb, dass vorrangig Schutzmaßnahmen in Gebieten ergriffen werden sollten, die am stärksten von „Mountain Greening“ betroffen sind. „Wir benötigen auch dringend vergleichbare Studien mit weiteren Arten und in anderen Regionen“, schließt Theodoridis. „So können wir ein umfassendes Bild darüber gewinnen, wie sich Umweltveränderungen auf die genetische Basis der biologischen Vielfalt auswirken – und wie wir dieser Entwicklung wirksam begegnen können.“
Publikation:
Theodoridis, S., Hickler, T., Nogues-Bravo, D., Ploch, S., Mishra, B., & Thines, M. (2025). Satellite-observed mountain greening predicts genomic erosion in a grassland medicinal herb over half a century. Current Biology
https://doi.org/10.1016/j.cub.2025.04.007
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