29.01.2025 Pressemitteilung - Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Senckenberg-Wissenschaftlers Prof. Dr. Peter Haase hat die Ergebnisse weltweiter Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt in Flüssen ausgewertet. Ihre jetzt im renommierten wissenschaftlichen Journal „Nature Reviews Biodiversity“ erschienene Studie zeigt, dass viele Schutz- und Renaturierungsmaßnahmen zu kurz greifen und oft nur geringe Erfolge bringen.
Um Flussökosysteme nachhaltig zu schützen und den gravierenden Biodiversitätsverlust aufzuhalten, seien ganzheitliche Maßnahmen in größerem, auch länderübergreifendem Maßstab nötig, die verschiedene gesellschaftliche Gruppen einbeziehen.
Flüsse sind die Lebensadern unseres Planeten. Seit Tausenden von Jahren siedeln Menschen an Flüssen und profitieren von den Vorteilen, die sie bieten, etwa sauberes Trinkwasser, Energie, Nahrung, Transport- und Erholungsmöglichkeiten. Doch durch menschliche Eingriffe ist die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt von rund 50 Prozent der Flüsse weltweit deutlich geschädigt. Besonders betroffen sind dicht besiedelte Regionen in Ostasien, Europa und Nordamerika sowie trockene und tropische Gebiete. Das Einleiten von Abwasser, der Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln auf nahegelegenen Feldern, die Entnahme von Wasser, Flussbegradigungen und das Einschleppen gebietsfremder Arten sind nur einige Ursachen für den schlechten Zustand der Flüsse.
Um diese Belastungen zu verringern, haben zahlreiche Länder und Regionen Gesetze erlassen, die darauf abzielen, die Verschmutzung von Flüssen zu reduzieren, Arten und Lebensräume zu schützen und Ökosysteme wiederherzustellen. Dazu gehören etwa der „Clean Water Act“ in den USA, die europäische Wasserrahmenrichtlinie oder das Kunming-Montreal-Abkommen zur globalen Biodiversität. In der Folge wurden weltweit zahlreiche Schutzmaßnahmen umgesetzt, um die Biodiversität in Flüssen zu erhalten oder zu verbessern – etwa durch Renaturierung, Abwasseraufbereitung oder die Reduzierung des Düngereinsatzes. In einer neuen Studie hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Peter Haase vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt nun die Effektivität dieser Maßnahmen unter die Lupe genommen und ist zunächst zu ernüchternden Ergebnissen gekommen.
„Vielerorts reichen die Schutz- und Renaturierungsmaßnahmen nicht aus, um die Belastungen unserer Flüsse auszugleichen“, berichtet Haase. „Der Verlust der biologischen Vielfalt in Flüssen ist weitaus stärker als in terrestrischen oder marinen Ökosystemen: 88 Prozent der Megafauna wie Flussdelfine, Schildkröten und Störe sind vom Aussterben bedroht.“ Das Forschungsteam hat insgesamt 7.195 Projekte in 26 Regionen der Welt, verteilt über verschiedene Kontinente, Länder und Flusseinzugsgebiete im Hinblick auf ihre Effektivität zum Erhalt der biologischen Vielfalt in Flüssen ausgewertet. „Die große Mehrzahl dieser Schutzmaßnahmen erzielte entweder keine oder nur geringe Verbesserungen der Biodiversität“, resümiert Haase.
Die Forschenden betrachteten in ihrer globalen Analyse neun verschiedene Kategorien von Schutzmaßnahmen, darunter die Renaturierung von Lebensräumen, die Reduzierung von Schadstoffeinträgen und die Bekämpfung invasiver Arten. Dass viele der bisherigen Maßnahmen nur geringe Verbesserungen für die Artenvielfalt brächten, bedeute dabei nicht zwangsläufig, dass die einzelnen Maßnahmen keinen Nutzen hätten. Vielmehr würde es vielfach an einer umfassenden Herangehensweise fehlen, die mehrere Stressfaktoren gleichzeitig adressiert. „Lokale Maßnahmen wie die Renaturierung begradigter Flussläufe sind ein wichtiger Schritt, reichen aber oft nicht aus, wenn die Hauptursachen wie diffuse Verschmutzung oder invasive Arten unberücksichtigt bleiben,“ so Haase weiter. „Auch der richtige geografische Maßstab und eine langfristige Überwachung sind entscheidend. Flüsse und ihre Ökosysteme erstrecken sich oft über Ländergrenzen hinweg. Eine ganzheitliche, flusseinzugsgebietsweite Planung, die sowohl ökologische als auch soziale Aspekte einbezieht, könnte die dringend benötigte Wende bringen.“
Die Autor*innen der Studie plädieren für eine kontinuierliche Überwachung und Auswertung der Effektivität von Schutzmaßnahmen und für die Einbindung aller relevanten gesellschaftlichen Akteur*innen. „Ein Schlüssel zum erfolgreichen und wirksamen Schutz der Biodiversität unserer Flüsse ist die sogenannte ‚Koproduktion‘ – die gemeinsame Entwicklung von Lösungen durch Forschung, Politik, indigene Gemeinschaften und andere lokale Gruppen, die direkt von der Flussnutzung profitieren“, erklärt Haase. „Dieser Ansatz verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit lokalem Wissen und berücksichtigt sowohl ökologische als auch gesellschaftliche Bedürfnisse. Dadurch können Konflikte reduziert und die Akzeptanz von Maßnahmen erhöht werden. Zudem ermöglicht Koproduktion flexible, standortspezifische Lösungen, die sich dynamisch an neue Herausforderungen anpassen lassen. Flüsse sind komplexe Ökosysteme, die eng mit ihrem Einzugsgebiet verknüpft sind. Ihre Rettung erfordert daher koordinierte, großflächige Anstrengungen. Die Kombination von Wissenschaft, politischem Willen und gesellschaftlichem Engagement kann zukünftig den entscheidenden Unterschied machen.“
Zum Original-Beitrag: Was hilft unseren Flüssen?
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